Auszug aus dem Artikel

THEATER – PERFORMANCE – TECHNIK. REMOTE CONTROL MODELS

von Martina Leeker
http://entfesselt.kaleidoskopien.de/?id=4

Hinweise gibt das Projekt Fogpatch[16] von Daniel Fetzner, für das Georg Hobmeier die eigene Performance seismic body memory[17] entwickelte. In dessen Mittelpunkt steht der Informationstheoretiker Max Bense.[18] Aufhänger ist eine Nierenkolik, die Bense 1969 in San Francisco nach einem Spaziergang über die Golden Gate Bridge erlitten haben soll. Diese verarbeitete er in dem kleinen Aufsatz „Existenzmiteilung aus San Franzisko“[19], der auch Textgrundlage für Georg Hobmeiers Performance ist. Daniel Fetzner legt die Nierenkolik als Nachweis für ein Feedback zwischen Mensch und Umwelt aus, das sich weniger informationsästhetisch, sondern vielmehr sehr materiell über Resonanzen, Frequenzen und Schwingungen herstellt. Damit werden der Kybernetik Begriffe und Vorstellungsbilder aus einem elektrischen Dasein auferlegt. Fetzner schreibt:

„Durch den Schmerz geraten Raum und Ich (1934) von Benses Technischer Existenz (1951) aus dem Gleichgewicht. Denn im Gegensatz zu der parabelförmigen Ansicht aus der informationsästhetischen Distanz, ist die Brücke aus der Fußgängerperspektive ein brachiales Industriebauwerk, ohne jeden menschlichen Maßstab und unerträglich laut. Infraschallschwingungen der Brückenkonstruktion, also Frequenzen im nicht hörbaren Bereich unter 20 Hz, wirken beim Menschen und bei vielen Tieren nachweislich Angst auslösend. Der starke Verkehr über die Golden Gate Bridge überträgt kinetische Energie auf die Konstruktion und fördert dadurch das Aufkommen von eigenfrequenten Schwingungen, wie sie im Pendelversuch von Paul Christian beschrieben wurden. Solche Schwingungen haben die wesentlich kleinere, aber baugleiche Tacoma Bridge drei Jahre nach dem Bau der Golden Gate im Jahr 1940 zum physischen Kollabieren gebracht.“ [20] In der Performance von Hobmeier wird aus Sicht von Fetzner dieses Schwingungsfeedback aufgenommen und in ein kybernetisch-elektrisches Feedback zwischen Performer und technischem Environment übersetzt. Denn er bewegt sich in elektrischen Strömen, die wiederum, nachdem sie durch seinen Körper gelaufen sind, genutzt werden, um Bilder und Töne zu steuern. Derart entstünde eine Feedbackschleife im Sinne einer Rückkopplung in einem sich selbst steuernden System. Ob sich dies technisch einlöst, ist dabei nicht die entscheidende Frage und es ist zu bezweifeln. Wichtig ist, dass dieses Feedback diskursiv eingebracht wird, denn mit ihm wird die Idee materialisiert, es entstünde ein (elektro-) kybernetisches System zwischen Elektrizität, Performer und Sound/Bild.

„Die Existenzmitteilung in San Franzisko ist Ausgangspunkt der Performance seismic body memory. Während der 23-minütigen Aufführung – also der Dauer einer Brückenüberquerung – wird der Text von Georg Hobmeier alias Max Bense gesprochen. Taktgeber der Performance sind seismische Livesignale, die aus einer kalifornischen Erdbebenstation über das Internet bezogen werden. Diese werden zu einer elektronischen Livekomposition mit Tonfrequenzen um die 40 Hz, gewissermaßen als Frequenzen des Unbewussten verarbeitet. Diese Signale sind zufällige Impulsgeber für den selbstherapeutischen Erinnerungsprozess, sie werden in Form von elektrischen Strömen per Elektroden in den Körper des Performancekünstlers Georg Hobmeier alias Bense geleitet. Durch die Übertragung, Verstärkung und Modulierung dieser Frequenzen und deren Rückkopplung wird in der Aufführung die Generierung von Bildern und Tönen selbst zum Gegenstand von ‚control and communication’ – den beiden Kernbegriffen von Norbert Wieners (1949) Cybernetics. So entsteht eine Mischung aus Electric Ladyland und Voodoo Child, im Hintergrund hört man eine Sequenz des Star Sprankled Banner, das per Fourieranalyse als Windrauschen aus Woodstock herüberschallt.“ [21] Es kommt zu einer elektrisch-resonanten Überschreibung kybernetischer Regelkreis. Auf Grund dieses Vorgangs versteht sich das Projekt als eine kritische Auseinandersetzung mit Max Benses Sicht auf eine technische Existenz des Menschen. Im Fokus der kritischen Betrachtung steht Benses Auffassung, dass der materielle Körper keine Rolle mehr spiele, da auch Physis sich als diskrete, immaterielle Existenz konstituiere. Fetzner belegt seine Kritik:

„Bense […] resümiert in seiner Existenzmitteilung nüchtern mit deutlichem Bezug auf Descartes: ‚Die Sprache ist das eigentliche Medium meiner Mobilität. Ich spreche, also gehe ich.’ … Die Technische Existenz stößt aber spätestens beim Erleben körperlicher Extremerfahrungen an ihre kognitiven Grenzen. Das Erleben von Schmerz ist an eine individuelle und konkrete Körperlichkeit gebunden, es widerfährt nur dem einzelnen Bewusstsein, die Qual kann von anderen nur annäherungsweise über Empathie und eigene körperliche Erinnerung nachempfunden werden. Der Schmerz selbst bleibt dem jeweiligen Leib eigen und ist über kein Medium vermittelbar. … Zeitgleich zu Jimmy Hendrix` Feedback-Orgie in Woodstock – am 15. August 1969 – möchte der Kybernetiker auf der schwingenden Brücke ‚nur noch wie Haar sein, fest und fein, sensibel, wortlos und schmerzlos’(1997 Band 4, 304). Der Text markiert eine Wendung in Benses Denken, dem die Trennung von Körper, Schmerz und Bewusstsein nicht mehr gelingt.“[22] Das Besondere der Performance ist aus technik- und wissensgeschichtlicher Sicht also, dass in ihr die Wissens- und Diskursgeschichte der Elektrizität mit der der Kybernetik zusammengeführt wird. Wenn Georg Hobmeier seine Rezitation des Textes von Bense mit Stromstößen stören lässt, wird der Diskurs von der elektrischen Konstitution des menschlichen Körpers beschworen. Sie ruft die Geschichte eines auf elektrischen Prozessen beruhenden Modells der Beziehung von Mensch und technischer Umwelt auf. Nach diesem verfügen Körper und elektrische Umwelt über elektrische Frequenzen und können darüber in Resonanzen geraten. Diesen Escheinungen wird Benses Körper vermeintlich auf der Brücke ausgesetzt. Er wird eingetaucht in eine Welt der Frequenzen und Schwingungen, die sich mit den Vibrationen seines Körpers so verbinden, dass sie eine Nierenkolik auslösen. Der Fußgänger gerät zum Modell eines elektrischen Feedbacks, das in seiner Materialität das Modell immaterialer Codierungen des Körpers in Information unterläuft. Hinweis darauf, dass diese Denkfigur das informationstechnische Bild einholen soll, ist Fetzners Verweis auf die Feedback-Orgien von Woodstock, namentlich Jimi Hendrix’ akustisches Feedback. Dieses entstand durch analoge Rückkopplungen, die den Musiker zum Dompteur sowie zugleich zum integralen Bestandteil des elektronischen, technischen Sounds transformierte. So wird der Mensch regelrecht angeschlossen an ein materielles, leibliches Feedback mit elektronischen Geräten. Er ist untrennbar in Welt. Auf dieser Grundlage soll es für den Kybernetiker Bense zu einer Schocktherapie kommen, mit der der Körper über Schmerz und Besinnungslosigkeit wachgerufen wird. Diese Idee knüpft Fetzner an aktuelle Theorien des Embodiment:

„Konzeptionelle Prämisse von fogpatch ist die leibliche Bedingtheit der menschlichen Existenz. Die dem Projekt zugrunde liegende Arbeitshypothese stellt die Utopie der medialen Auslagerung des Bewusstseins in ein digitales System in Frage und schlägt einen Perspektivwechsel vor, indem situierte Körperlichkeit als anthropologische Grundbedingung aufgefasst wird. Der Mensch ist ein autopoietischer Organismus, der die Welt durch sein aktives Handeln konstruiert, wie Humberto Maturana (1982) und Alva Noë (2006, 2009) feststellen.“[23]
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