PEAU/PLI 2012-14

TEILPROJEKT VON INTERCORPOREAL SPLITS ZUR MEDIALITÄT DER HAUT

Ausstellung vom 28.11.2013 - 05.01.2014 im Rahmen der Regionale 14 im E-Werk Freiburg
Performance am 05. Januar 2014 um 17 Uhr
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Skypeperformance zu »Das Haut-Ich« (Anzieu 1995) und »Die Falte« (Deleuze 1988)

Der Schauspieler Georg Hobmeier lässt sich ein Fußbad ein. Das tägliche Ritual beginnt mit der Generierung eines Haut-Interfaces, zeitgleich wird sein »Haut-Ich« als begehbares Inflatable vor der ehemaligen Arbeiterkneipe Finkenschlag von dem Tänzer Graham Smith in Form gebracht und mit Leben gefüllt.

Künstlerische Forschung von Daniel Fetzner und Martin Dornberg mit Georg Hobmeier, Graham Smith und Juan A. Romero sowie Studierenden** der Hochschule Furtwangen

 ** Nana Saskia Fiedler, Christofer Henn, Hanna Mai, Gennarino Romano und Fatih Akkas

TEIL 1 - Skypeperformance Finkenschlag Freiburg

Samstag, 05. Mai 2012, 17 Uhr | Badische Zeitung | Thesenpapier | Fotos | Diskussion

»Wenn Perzipieren Entfalten ist, dann perzipiere ich immerzu durch Falten.« Gilles Deleuze

Der Schauspieler Georg Hobmeier lässt sich im Finkenschlag ein Fußbad ein. Das tägliche Ritual beginnt mit der Generierung eines Haut-Interfaces, das Einlassen des Wassers wird über das Aufpumpen eines begehbaren Inflatables vor der ehemaligen Arbeiterkneipe auf der Straße praktiziert. Im Inneren dieser "Seifenblase" befindet sich der Tänzer Graham Smith, der während des Fußbades im Freiburger Stadtteil Haslach einen Uexküllschen Funktionskreis in Gang setzt. Schauspieler und Tänzer befinden sich in unterschiedlichen Umwelten und Temporalstrukturen, stehen aber via rotierender Bilder und Sounds aus der Kugel in enger Verbindung.

Dafür sorgen auch Rotationsdaten der Blase, die sonifiziert und in elektrische Körperimpulse transformiert werden. Während Hobmeier sein Haut-Ich mit Textpassagen von Anzieu und Deleuze pflegt, interagiert Smith in seinem Streifzug als ballführender Spieler im Stadtraum mit Passanten. Im Inneren der Blase rezitiert der reiz-, wirk- und sprachreduzierte Smith den Philosophen Plessner mit dem Satz »Als ganzer ist der Organismus nur die Hälfte seines Lebens«. Das Bad ist nach 15 Minuten beendet.

»Vodoo, Erdung, Schamanismus, Fußwaschung und Elektroden auf der Couch.«

Georg Hobmeier

»My weapon is this one phrase and I go out in my bubble to discover the world.«

Graham Smith

»Die Welt des Perversen ist eine Welt ohne den Anderen, demnach eine Welt ohne Mögliches. Der andere ist der, der Möglichkeiten schafft. Die perverse Welt ist eine Welt, in der die Kategorie des Zwangsläufigen vollständig die des Möglichen ersetzt hat: merkwürdiger Spinozismus, in dem es an Sauerstoff fehlt, zugunsten einer elementaren Energie und einer verdünnten Luft (der Notwendigkeits-Himmel). (…) Wenn der Held bei Kierkegaard fordert: "Mögliches, oder ich ersticke'', wenn James nach dem "Sauerstoff der Möglichkeit" verlangt, tun sie nichts anderes, als den Anderen a priori anzurufen.« Gilles Deleuze, Logik des Sinns (1969)

Die collagierten Positionen zur Medientheorie werden durch die Körper des Tänzers und des Schauspielers hindurch entwickelt. Text, Schauspieler, Publikum (Aktanten Finkenschlag) befinden sich in einem interaktiven Dialog mit Tänzer, Inflatable, Videokamera, Sensoren, Straße und Hasslacher Passanten (Aktanten Stadtraum). Die mediale Dazwischenkunft ist hyperlokal und performativ. Hobmeier und Smith sind in dieser Rückkopplungsschleife berührend-berührt, es bilden sich neue Interfaces, Hüllen und Falten aus.

»Wenn jemand innerhalb eines Kreises steht, so liegt dessen konvexe Seite für ihn ganz verborgen unter der konkaven Decke.«

Gustav Theodor Fechner

Die Performance will mit Mitteln des Tanzes und von Medienkunst Realitätsverschiebungen, Transitionen und Fluktuationen zwischen verschiedenen stadträumlichen Situationen, zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Finkenschlag und Schaufenster, Haslach und Seléstat (s.u.) auffalten und ent-falten. Dabei wird auch das Verhältnis zwischen realen und virtuellen Räumen sichtbar gemacht und befragt.

TEIL 2 - Rauminstallation Schaufenster Sélestat

16. Mai - 16 Juni 2012 | Description en Français | Recension

Der Besucher blickt durch eine netzhautartige Textur von aussen in den abgedunkelten Raum des Schaufensters. Im Inneren sind die beiden Umwelten der PEAU/PLI Performance vom 05. Mai installativ ausgestellt. Über eigene Smartphones können dazugehörige Sounds abgerufen werden - bitte Kopfhörer mitbringen.

»Intensity is embodied in purely autonomic reactions most directly manifested in the skin – at the surface of the body, at its interface with things.«

Brian Massumi (1996)

»Die mit kollektiver, medialer Netzhaut überspannte Transparenzgesellschaft bringt es mit sich, dass ein Ereignis sich blitzschnell ausbreitet. Hier ist alles der Sichtbarkeit ausgeliefert.«

Brian Byung-Chul Han (2012)

Über die Haut steht der Mensch in intensivem Austausch mit seiner Umgebung. Sie ist Schutz- und Kommunikationsorgan. Im Rahmen hautbezogener Austauschprozesse bilden sich die Grundlagen von Wahrnehmen, Bewusstsein und Denken: Der französische Psychoanalytier Didier Anzieu spricht daher vom »Haut-Ich« (le Moi-Peau).

Die Haut und ihre taktilen, rhythmischen, auditiven Hüllen stellen die primären “Interfaces” für den Umgang mit der Wirklichkeit dar. Sie ist Medium, Mitte, Berührungsorgan sowie Organisator aller späteren medialen Austauschprozesse wie Stimme, Schrift, Film und digitale Medien. Letztere haben elektronische Berührungsformen und Interfaces eingeführt, der Informationsfluss geht zunehmend über die elektronische Haut. Internet und Skype schaffen hyperlokale Räume von Kommunikation und Verkörperung, die neue Formen der Verfilzung leiblicher und künstlich-anschauungsbezogener Affizierung generieren.

Forschungsfelder: Grenzflächen, Faltungen und Hybridisierungen von Umwelt – Verkörperung – Medien, leibliche Ko-Präsenzen, Logiken der Sinnlichkeit

Forschungsfragen:

  • Wie helfen Begriffe und deren mediale Bearbeitung, Phänomene prägnanter zu beschreiben und zu verstehen?
  • Wie gehen die Begriffe, Prozesse und Aktanten der Performance in die Theoriebildung ein?
  • Wie beeinflussen sich die Begriffe, Phänomene, Themen und mediale Aktanten gegenseitig?
  • Wo sind die Grenzen des Körpers?
  • Welche Umwelten/Häute entwickeln sich?
  • Welche Interfaces/Grenzflächen werden wirksam?
  • Welche unterschiedlichen Ebenen bilden sich?
  • Wie verbinden sich Medien, Theorie und Performance?
  • Wo beginnt und wo endet der Körper, wo beginnen und wo enden eletronische Hüllen, Wahrnehmen und Bewegen, welche Rolle spielen hier die Medien, insbesondere die am Körper verfügbaren wie Kamera, Handy, Internet, Skype?
  • Wie entstehen Zentren kollektiveren Bewusstseins und wo enden diese?
  • Welche Formen von Vergessen und Bewusstsein erzeugen mediale Vervielfältigungen wie etwa auf der Videowand des Haslacher Mediamarktes oder in der Projektdokumentation bzw. der Vervielfältigungen des Streifzugs real (per Fuß), virtuell (per Kamera) oder textuell (philosophische Texte und deren Performierung)?

Abb.: Bubblemotiv auf Pergament in der humanistischen Bibliothek in Sélestat