Seminar zur Disziplinargesellschaft «



Operation menschliche Drohne

Simon Gruseck



1. Herantasten an die Idee

2. Der Helm

3. Das Militärszenario

4. Vorbereitungen für den großen Tag

5. Freitag der 17.

6. Abschlussbetrachtung

7. Literatur



1. Herantasten an die Idee

Maskiert in der Öffentlichkeit an fremde Menschen heranzutreten, war einer der ersten Gedanken, den ich für mein Projekt hatte. Jedoch war zunächst ein ganz anderes Szenario geplant: Ich wollte entweder mit Sturmhaube oder einer künstlerisch-fantasievollen Maskerade auf Passanten zugehen und diese nach alltäglichen Dingen, wie dem Weg fragen. Hierbei war es mir wichtig ihre Reaktion auf mich zu beobachten, da sie Informationen von sich (wie Aussehen oder ggf. auch Stimme) preisgaben, die ich verschleierte. Dieses Ungleichgewicht, so dachte ich, könne dynamische Situationen hervorbringen und die Passanten dazu bewegen sich mehr mit der Rolle eines unbekannten Überwachers auseinanderzusetzen.
Da mir das Szenario als zu belanglos erschien, kreierte ich ein Konzept, welches sich an Live-Rollenspielen orientierte und Besuchern des „Tags der Medien“, die Möglichkeit bot Aufgaben anzunehmen, die sie in die Rolle von Menschen versetzten, die etwas zu verbergen hatten. Eine damals angedachte Aufgabe war beispielsweise: Bei einem Telefonanruf von Freunden oder Familie keinerlei persönliche Informationen preiszugeben (d.h. auch nicht auf simple Fragen wie „Wie geht es dir?“ zu antworten). Nach erledigten oder gescheiterten Aufgaben, wollte ich die Freiwilligen zu ihren Erfahrungen, Gefühlen und Gedanken über ein durch Überwachung eingeschränktes Leben befragen.

2. Der Helm



Durch einen Freund wurde ich auf folgendes Video aufmerksam gemacht:

http://www.youtube.com/watch?v=Jqi4bc1vCNY

Begeistert von den Möglichkeiten dieser Maske und ratlos wegen ihrer konstruktiven Details, zeigte ich das Video dem Kurs. Dieser ermutigte mich den Helm nachzubauen. Die bisherigen Ideen verwarf ich, da ich mich nun auf diese Art von Maske festlegte Einige Tage später traf ich mich mit einem weiteren Freund, der die Idee hatte einen Kletterhelm zur Fixierung des Tablet-PCs auf dem Kopf zu benutzen. Gemeinsam tüftelten wir an einem ersten Prototypen. Schnell kamen wir darauf, dass die Helm-Tablet-Verbindung mit einer Halterung aus Gaffer-Tape und festem Karton stabil genug war. Außerdem war diese Variante kostengünstig und leicht, was sich als sehr vorteilhaft erwies, da das Tablet recht schwer wog. Meine größte Sorge war, dass die Person hinter der Maske nichts sehen würde, doch sowohl der Kurs als auch der Prototyp widersprachen meinen Bedenken: Der Trick war das Tablet einige Zentimeter vor dem Gesicht anzubringen. Außerdem fixierten wir das es, anders als in der Vorlage, etwas höher, so dass der Mund der Person zwar noch zu sehen war, die Übersicht aber erheblich größer wurde. Da ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt am „Tag der Medien“ mit meinem Helm in die Öffentlichkeit treten wollte und dort erwartungsgemäß mit viel Publikum zu rechnen war, musste aus Sicherheitsgründen dieser Kompromiss eingegangen werden.
Mit der Kamera und dem Mikrofon des Tablets wollte ich eine nicht raumgebundene Kommunikation über „Skype“ aufbauen, sodass ein Helfer bzw. Schauspieler vor seinem PC mit Webcam sitzt und mit einem Fremden über das Tablet kommuniziert. Um verwertbares Material zu erhalten, entschloss ich mich die „Skype“-Telefonate mit dem Programm „Free Video Call Recorder for Skype“ aufzuzeichnen. Während einiger Tests in Privaträumen aber auch an der Hochschule, funktionierte die Technik einwandfrei.

3. Das Militärszenario

Die Möglichkeiten waren mannigfaltig, doch ich musste mich nun auf eine Geschichte und auch einen Untersuchungsaspekt festlegen. Hierfür schrieb ich mehrere Stories die alle um ein Grundthema kreisten. Beispielhaft sei folgende angeführt:
Szenario 1 Befragung: beide Charaktere geskriptet, befragte Person nicht eingeweiht Anmerkungen: Der Überwacher ist der Schauspieler, der an seinem PC in einem nicht zugänglichen Raum sitzt; die Drohne ist ein vom Überwacher gesteuerter Mensch.

Überwacher:
- gibt der Drohne Befehle
-spricht Besucher an: „NSA Kontrollzentrum. Operation menschliche Drohne. Antworten sie Wahrheitsgemäß auf meine Fragen zum Schutz unseres geliebten Landes.
1. Besitzen Sie die Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erzeugung und/oder Anreicherung chemischer, biologischer und/oder radioaktiver Kampfstoffe?
2. Pflegen Sie Kontakt mit regierungskritischen Personen und/oder Institutionen?
3. Haben Sie jemals bzw. werden sie jemals versuchen Handlungen bzw. Gedankengut vor unserer geliebten Regierung zu verbergen?“

Wenn nicht eindeutig bzw. zu langatmig geantwortet wurde:
„Beantworten Sie die Frage mit ja oder nein, sonst kann unser System sie nicht erfassen! Wollen Sie das etwa?!“

Wenn mindestens eine Frage mit ja beantwortet wurde:
„Sie sind eine potenzielle Gefahr für die Sicherheit unseres Landes. Passen Sie in Zukunft besser auf welche Insekten durch Ihren Garten schwirren Freundchen!/meine Liebe!“

Wenn alle Fragen mit nein beantwortet wurden:
„Sie sind ein guter Mann/ eine gute Frau! Auf solche Leute wie sie zählen wir! Nennen Sie uns ihren Aufenthaltsort in den nächsten 5 Stunden, vielleicht gibt es später noch etwas, das sie für die NSA tun können.“
Wenn Aufenthaltsort genannt wurde „Sehr gut! Sie haben nichts zu verbergen! Wir werden Sie kontaktieren! Gehen Sie jetzt!“

Wenn Aufenthaltsort nicht genannt wird:
„Nun das ist wirklich sehr bedauerlich. Passen Sie bloß auf, dass Ihre gesunde Grundeinstellung nicht durch Ihr fanatisches Ringen um Privatsphäre unterminiert wird. Gehen Sie jetzt!“

Durch die sehr beschränkte Kommunikation zwischen Überwacher und angesprochener Person (nur ja oder nein als Antwortmöglichkeiten), wollte ich die Gespräche planbarer machen. Für das Szenario habe ich durch alte Filme oder Computerspiele inspirieren lassen (z.B. Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben oder Command&Conquer: Red Alert)

Mit diesem Szenario wollte ich zeigen wie der Überwachungsmechanismus (Kamera, Mikrofon, „Skype“ und der „Free Video Call Recorder for Skype“) druck auf den Überwacher ausübt, der wiederrum die Drohne unterdrückt. In einem ersten Entwurf, sollte die Drohne von nicht eingeweihten Besuchern des „Tags der Medien“, die durch ein „Casting“ des Überwachers für die NSA rekrutiert werden sollten, verkörpert werden. Da ich zu diesem Zeitpunkt dachte, dass die Drohne die meisten zwischenmenschlichen Schwierigkeiten haben würde, wollte ich die Freiwilligen nach ihrem Empfinden unter dem Helm befragen und ihre Antworten auswerten. Doch nicht zu Letzt aus Angst um das Material und der ungeklärten Verantwortung für dieses, entschied ich mich auch für die Rolle der Drohne einen Schauspieler zu rekrutieren. Ich selbst wollte das Geschehen aus der Ferne beobachten und ggf. das Skript an die Situationen anpassen.

Um dem Überwacher Autoritärer erscheinen zu lassen, fragte ich bei Bekannten nach Militär- bzw. Offizierskleidung und suchte nach einem Banner (z.B. NSA-Flagge) für den Hintergrund. Die Drohne sollte in Zivil auftreten, um ihre Austauschbarkeit zu verdeutlichen. Der Helm sollte im Camouflage-Ton erscheinen um ihn als Eigentum der Regierung zu kennzeichnen und den Betrachtern Respekt einzuflößen.

Als ich die Idee einem Freund, welcher den Überwacher spielen sollte und dem Kurs zeigte, hielt sich die Begeisterung für mein Szenario doch sehr in Grenzen: es sei zu anachronistisch, der Überwacher in seiner Rolle viel zu dominant und der Erkenntnisgewinn über die Befragten durch bloße ja und nein Antworten praktisch nicht vorhanden. Außerdem würde sich die NSA wohl kaum jedem persönlich vorstellen, den sie überwachte. Diese Kritik war, wie ich schnell feststellte, mehr als berechtigt. Jedoch musste ich mich zuerst von den Hollywood-Fantasien meiner Kindheit und der 50er Jahre Militärromantik in meinen Gedanken befreien. Überwachung heutzutage ist viel subtiler, freundlicher und unpersönlicher. Als ich das verstand, verwarf ich mein Skript ein weiteres Mal.

4. Vorbereitungen für den großen Tag

Ein weiteres Skript zu schreiben war schwierig geworden. Wie ich feststellen musste waren Menschen, wenn man ihr Vertrauen gewinnen wollte, nicht vorhersehbar. Man musste flexibel auf den Einzelnen eingehen können, durfte jedoch nicht aus der gespielten Rolle fallen oder das Ziel aus den Augen verlieren. Auch die Ansprüche an meinen Freund, der nicht einmal Amateurschauspieler war, waren enorm: Er musste auf alles, was die anderen sagten eine Antwort haben, musste seine Rolle glaubhaft spielen und meinem perfiden Plan sein Gesicht leihen. Denn um all diesen Anforderungen halbwegs gerecht zu werden wendete ich einen alten Trick an: ich wollte den Befragten ein schlechtes Gewissen machen und an ihr Mitgefühl appellieren.
So schrieb ich zwei weitere Szenarien. Das erste handelte davon, dass sich der Überwacher(diesmal kein Militär sondern ein Computer-Freak) den Helm baute und die Drohne losschickte, da er sich von der Gesellschaft ausgestoßen fühlte. Jedoch verlor er jeglichen persönlichen Kontakt und vereinsamte völlig. Er spricht die Menschen an und schildert ihnen sein Schicksal. Zum Schluss stellt er sie vor die Wahl ihn besuchen zu kommen (und ihn aus seiner Einsamkeit zu retten) oder ihn mit seiner Bitte zu ignorieren, wobei er fortfahren würde wie gehabt.
Im zweiten Szenario ging es um die Drohne: Der Konstrukteur bekam ein schlechtes Gewissen, weil er seinen Freund zwang für ihn die Drohne zu spielen. Nun schildert er den Passanten seine Gewissensbisse und fragt sie, wie er mit seinem Freund verfahren soll.
Natürlich war mir bewusst, dass die gesamte Konstruktion jegliche Ernsthaftigkeit zerstören würde. Trotzdem vertrat ich die Auffassung, dass einige Probanden schon alleine durch gesellschaftlich anerzogene Verhaltensweisen, wie einem Fremden in Not zu helfen, auf meinen Trick hereinfallen und das ein oder andere Detail aus ihrem Leben preisgeben würden. Außerdem hatte ich gelernt, dass Skurrilität und Dreistigkeit einige zwischenmenschliche Brücken schlägt.
Für den „großen Tag“, der nicht mehr der Tag der Medien sein sollte (es herrschte bei solch einem Event einfach nicht die familiäre Atmosphäre, die ich für das aktuelle Skript benötigte), musste noch einiges vorbereitet werden: Der Helm musste neu zusammengebaut und verkleidet werden (ich entschied mich für Alu-Folie, da diese die Rolle des Freaks im Skript weiter unterstrich), wir benötigten einen Laptop mit Webcam auf dem alle benötigten Programme vorinstalliert wurden, ich studierte mit dem Überwacher das Skript ein (soweit dies möglich war), ein Kameramann wurde gesucht und gefunden, ein freier, privater Raum im I-Bau, in dem sich der Überwacher aufhalten sollte und der für die Crew als Hauptquartier diente, fehlte noch.



5. Freitag der 17.



Die Nacht vor dem Showdown war die Hölle. Unausgeschlafen und mürrisch stieg ich in den Bus. Es musste noch so viel erledigt werden: Skripte ausdrucken, alle Beteiligten briefen, das Equipment zusammentragen und wir hatten immer noch keinen Raum. Glücklicherweise besaß mein Freund einen Zugang zum Schnittraum, somit war wenigstens dieses Problem schnell gelöst.
Der Druck, den ich mir selbst machte, hätte größer nicht sein können. Dazu kam noch, dass es natürlich keinen Freiwilligen für die Rolle der Drohne gab, welche ich zusätzlich zu der ganzen Organisationen auch noch mimen musste. Wenigstens die Helfer hatte ich mir gut ausgesucht. Mein bester Freund erklärte sich dazu bereit das Geschehen versteckt zu fotografieren, seine Freundin unterstützte ihn und machte mir Mut. Da ich nach wie vor die Vorstellung vertrat, dass die Drohne dem größten sozialen Druck ausgesetzt war, war ich furchtbar nervös und beschloss mir einen Flachmann mit Cognac zu kaufen, würde die Rolle unerträglich werden.
Die ersten technischen Tests liefen passabel, doch schnell merkten wir, dass die Internetverbindung extreme Latenzzeiten aufwies (bis zu 12 Sekunden). Wir überprüften alles, aber sowohl Soft- als auch Hardware funktionierten einwandfrei. Welch ein Fiasko! Drei Monate Arbeit schienen dahin zu sein und es gab keine Aussicht auf Besserung. Es war Freitag Mittag kurz vor der Klausurzeit leerer hätte der I-Bau nicht sein können und durfte es auch nicht, sonst wäre nämlich niemand mehr da gewesen, den man befragen könnte- keine Massen anwesend, die das Internet in die Knie zwangen. Ich erkundigte mich bei Freunden, alle versicherten mir, dass diese Probleme normal seien. Ein alternatives Netz existierte nicht.
Jetzt war ich wirklich niedergeschlagen, das Projekt war zum Scheitern verurteilt. Doch meine Helfer machten mir Mut. Wenigstens einige Fotos könne man doch stellen, damit der Tag nicht komplett ergebnislos endete. So trat ich zum ersten Mal mit dem Helm in die Öffentlichkeit. Ein kleiner Testversuch während des Baus verlief erschütternd: Der Angesprochene hegte offensichtlich Misstrauen gegen die Konstruktion und verhielt sich äußerst zurückhaltend und wortkarg, unter dem Helm zu stecken war sehr unangenehm. Also auf ein Neues: der Überwacher und ich mit dem Helm posierten als Puppenspieler und Marionette. Nichts zu sehen war ein großer Vorteil. Auch die gestellten Bilder lockerten meine Anspannung. Endlich konnte ich etwas von meiner Verantwortung ablegen. Der Fotograf entschied, wie ich mich bewegen und was ich tun sollte. Es dauerte nicht lange, da erschien die erste Neugierige. Wir kamen ins Gespräch. Sie wollte den Helm aufsetzten, ich gab ihn ihr. Interessiert an der seltsamen Gerätschaft fragte sie mich wofür diese gut sei, prüfte ihr Gewicht, setzte sie auf, lief ein paar Schritte und begann schließlich herumzuhüpfen. Ich musste lachen. Zum ersten Mal war ich wirklich stolz auf meine Arbeit.



Diese Begegnung machte mir Mut. Das Skript zu befolgen war bei diesen Latenzzeiten unmöglich, die Internetverbindung riss alle paar Minuten ab. Daher sollte der Überwacher einfach nur in die Kamera schauen.
Die Anwesenheit meines besten Freundes mit dem Fotoapparat beflügelte mich. Jedoch war mir schnell klar, dass es nicht seine freundschaftliche Nähe war, die mich so leichtfüßig und mutig machte sonder die Linse, welche ständig auf mich gerichtet war. Die permanente Überwachung gab mir Selbstbewusstsein und Sicherheit, ich wusste ich war nicht allein.
Zielstrebig ging ich jetzt auf die Leute zu. Kein Misstrauen war bei ihnen erkennbar, sie grüßten und ich winkte zurück- ein anderer gab sein Gesicht für mich her. Ich fühlte mich unglaublich befreit.
12:45 Uhr der Dritte Block endete ein ganzes Seminar verließ den Raum. Dies war mein großer Auftritt: die Leute schaute fasziniert, tuschelten über mich, eine junge Frau machte Fotos und grüßte mich wie einen gerade gelandeten Außerirdischen, wohlwollend aber mit einfachsten kommunikativen Mitteln- als wäre ich kein Mensch, unbeeinflusst von der Gesellschaft. Ein kleiner Junge schaute neugierig, versteckte sich vor mir, ich ging ihm nach zuerst hatte er Angst, dann begann er mit mir zu spielen, verbarg sich hinter einem Geländer, wenn ich ihn anschaute, verfolgte mich, wenn ich mich abwendete.




Ich wollte weiter machen, doch es war niemand mehr da. Selten war ich so zufrieden, obwohl nichts wie geplant funktionierte.

http://www.youtube.com/watch?v=hKNlAr0598Y&feature=youtu.be

6. Abschlussbetrachtung

Selbstverständlich sind meine Betrachtungen weit davon entfernt wissenschaftlich zu sein. Sicher redete ich mir vieles schön, wer gibt schon gerne zu, dass ein über Monate entwickeltes Konzept in seiner Anwendung kolossal gescheitert ist. Auch wenn dies auf die Technik zurückzuführen ist, auf die ich keinen Einfluss habe, muss solch ein Fall natürlich immer bedacht werden.
Aber was wäre passiert wenn ich alles aufs kleinste Detail doppelt und dreifach geprüft hätte? Das Projekt wäre nie zustande gekommen und ich hätte mir etwas anderes ausgedacht, etwas Sicheres, etwas Ergebnisorientiertes: nichts mit Menschen, nichts mit derart viel Technik, nichts dynamisches aber auch nichts woran ich hing. Die emotionalen Erfahrungen mit dem Helm waren einzigartig für mich. Allein für ein derart großes Projekt verantwortlich zu sein, brachte mich an meine Grenzen. Aber dann nach diesen zahlreichen Rückschlägen die gesamte Verantwortung abzugeben, statt des eigenen Gesichts das eines anderen zu benutzen, nicht sprechen zu müssen, nicht denken zu müssen nur noch Körper zu sein und auf Menschen zulaufen, bewacht und behütet von der Linse einer permanent auf mich gerichteten Kamera, war der ersehnte Befreiungsschlag von den ganzen Zwängen, die ich mir selbst auferlegte. Selten zuvor war ich derart unreflektiert zufrieden mit meiner Arbeit.
Auch der I-Bau als Ort des Geschehens mit seinen Medienstudenten ist natürlich ein Biotop für solche Experimente. Die von mir wahrgenommene Empathie der Kommilitonen wäre an einem anderen Ort (z.B. dem Marktplatz) mit anderen Menschen (Fußgängern) sicher bei weitem nicht so groß gewesen, wenn sie nicht sogar umgeschlagen wäre. Trotzdem habe ich mich selten so gefreut mit fremden Menschen zu interagieren und will diese Erfahrung nicht missen.
Natürlich habe ich abschließend auch mit den anderen Beteiligten gesprochen: Der Kameramann hatte einen vergleichsweise ruhigen Job. Da ich so auffällig war, nahm ihn kaum jemand wahr und er konnte die Situationen ungehindert aus seinen Verstecken fotografieren. Als ich ihn fragte, ob er einen persönlichen Druck gespürt habe, antwortete er mit „Nein“.
Anders verhielt es sich mit dem Überwacher: Anfangs fühlte dieser sich sehr mächtig, da er es genoss mich zu manipulieren, dies änderte sich jedoch durch die technischen Probleme. Weil er nicht kommunizieren konnte begann er sich immer hilfloser zu fühlen. Ich reagierte nicht auf seine Befehle, da sie viel zu spät bei mir ankamen, die Angesprochenen sahen lediglich sein Gesicht. Er sagte, er habe sich nie als richtiger Überwacher gefühlt.
Ich finde dieses Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, welche Dynamiken entstehen können, wenn jegliche Planung scheitert. Plötzlich hatte ich Lust Dinge auszuprobieren, habe den Helm zum ersten Mal als mein Werk begriffen und mich darüber gefreut ihn aufzusetzen und mit ihm gesehen zu werden. Es war eine höchst interessante Erfahrung für mich.



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6. Literatur

Baumann/Lyon (2013): Daten, Drohnen, Disziplin. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Dany (2013): Morgen werde ich Idiot. Hamburg: Nautilus.

Deleuze (1990): Postscriptum über die Kontrollgesellschaft.

Tiqqun (2007): Kybernetik und Revolte. Zürich: Diaphanes.