Seminar zur Disziplinargesellschaft «

Digitale Doppelgänger

Jenny Hoffmann



1. Die These/Schlussfolgerung vorab

2. Erste Ansätze/Anfangskonzept

3. Hindernisse

4. Endgültiger Ansatz/Folgekonzept

5. Umsetzung

5.1 Gedanken des Anblickenden
5.2 Rollen
5.3 Das Erblicktwerden des Blicks/Gleichzeitigkeit

6. Analyse/Auswertung/Thesen

Diskussion (Kommentarfunktion)


7. Literatur



1. Die These/Schlussfolgerung vorab

„Ich habe durch die Vergegenständlichung den Zusammenbruch meines Blicks und meiner Stellung als Subjekt bewirkt. Jegliche Versuche, meine Subjektivität im Gespräch zurückzuerlangen, sind gescheitert, auch aus Deeskalationsgründen. Ich war erst feige und habe dann den Kampf um das Subjektsein gekämpft - und verloren. Allein ich habe mich dem Blick und dem Subjekt ausgesetzt, nur mich habe ich in Gefahr gebracht, nur ich habe den Blick des Anderen gespürt.“

2. Erste Ansätze/Anfangskonzept

Kontrolle, franz. contrôle - zu frz. contre „gegen“ und rôle „Rolle“/“Register - ursprünglich ein „Gegenregister zur Nachprüfung von Angaben eines Orginalregisters“.

Schon der erste Ansatz barg viele der Gedanken in sich, die in das finale Konzept übernommen werden sollten. Es ging um Facebook und ihre Nutzer als Untersuchungsgegenstand. Jeder Facebooknutzer versorgt das System mit Auszügen seiner Selbst und erschafft sich ein digitales und bereinigtes Gegenregister, ein Gegenstück, um die Grenzen seiner selbstbezüglichen Beobachtung zu überwinden. Er macht sich zum Objekt, um sich beobachten zu können.
Um die Verdinglichung perfekt zu machen und das noch subjektive Objekt in ein reines Objekt zu verwandeln, sollte ein Gegenregister des Gegenregisters entstehen, welches sich von dem Nutzer entfremdet und sich seiner Kontrolle entzieht. Dieses neue Gegenregister sollte klar als Objekt gekennzeichnet sein, es sollte eine Maschine, eine Datenbank simulieren. Das digitale Gegenstück des Nutzers sollte nicht in der Verbundenheit und Interaktion mit dem Nutzer als Original aufgehen, sondern sich abspalten, um an sich wahrgenommen zu werden.
Zunächst sollte sich die Datenbank Zugang zu den Informationen verschaffen. Anschließend sollte sie lediglich die Posts der Nutzer auf der „Datenbankpinnwand“ mit der Funktion „Teilen“ wiederholen. Sie hätte also Daten, die für Freunde und für den Nutzer selbst bestimmt waren, in eine externe Datenbank transportiert, die nicht mehr der Kontrolle des Nutzers unterliegt. So wäre der Nutzer zwar noch Urheber der Informationen, aber sie repräsentieren sich in einem von ihm gänzlich verschiedenen Objekt. In einem nächsten Schritt wären die erfassten Daten bearbeitet, d.h. in irgendeiner Weise reduziert, klassifiziert und in den Zusammenhang zu anderen Informationsobjekten gesetzt worden. Zuletzt wäre die Auswertung der Daten erfolgt, um das Objekt eindeutig zu identifizieren. Dieser Prozess wäre auf der Pinnwand der Datenbank sichtbar gewesen. So sollte auch die Formalisierung des Menschen gezeigt werden, der seine Informationen in vorgefertigte Systeme eingeben und möglichst klar übertragen soll, um herunter gebrochen und handhabbar gemacht zu werden. Die Unfreiheit, als ein Ding-An-Sich zu gelten, sollte spürbar gemacht werden. Die Selbstbestimmung bei der freien Entfaltung der Persönlichkeit sollte durch die Bedingungen der modernen Datenverarbeitung gefährdet werden. Wie hätten die Nutzer ihre Datenverarbeitung verfolgt? Hätten sie die Datenbank zur Strafe „verbannt“? Wie hätten die Nutzer auf Klassifizierung und auf die Handhabbarmachung/Reduzierung ihrer Selbst regiert? Was hätten sie erlebt, wenn sie von einer Maschine definiert worden wären?
Einige dieser hypothetischen Fragen werden in der tatsächlichen Konzeption und Umsetzung beantwortet werden.

3. Hindernisse

Schwierigkeiten in der Umsetzung bereiteten vor allem das Facebook - Format, die Echtzeit - Überwachung und die Vorraussetzungen der Nutzer. Die Bestimmungen von Facebook untersagen das Anlegen eines Fakeprofils und das Sammeln von Daten, vor allem aber das Stehlen von Identitäten. Außerdem führte die Echtzeitüberwachung zu dem Problem, dass sich nicht genügend Content in der Untersuchungszeit ansammeln konnte. Dies lag aber vor allem an den Nutzungsgewohnheiten der ausgewählten User. Diese wurden zufällig ausgesucht, sodass keinerlei Informationen über deren Nutzungsverhalten vorhanden waren. Die Nutzungsfrequenz der Testpersonen war auf ein Minimum reduziert.

4. Endgültiger Ansatz/Folgekonzept

In der Folge findet eine Konzentration auf nur eine Person statt, die sich durch eine hohe Nutzungsfrequenz und eine differenzierte Selbstdarstellung auszeichnet. Eine Bekanntschaft und Freundschaft auf Facebook besteht, aber nur flüchtig. Außerdem wurde das Motiv des Doppelgängers aufgegriffen.
Jeder Facebooknutzer erschafft einen virtuellen Doppelgänger, der sein Wissen, Fühlen und Erleben mitbesitzt. Das fremde Ich wird an die Stelle des eigenen versetzt, es entsteht eine Ich - verdoppelung/-teilung/-vertauschung. Der Doppelgänger ist eine Versicherung gegen den Untergang des Ich´s. Der Doppelgänger ist eine besondere Instanz, die sich dem Ich entgegenstellen kann, die der Selbstbeobachtung und Selbstkritik dient, die das Ich wie ein Objekt behandeln kann. Doch letztlich ist der digitale Doppelgänger ein Lebloser, der die Ähnlichkeit mit dem Lebenden zu weit treibt. Durch die unabsichtliche Wiederholung des Gleichartigen entsteht eine verhängnisvolle Hilflosigkeit, der Untergang aller Möglichkeiten.
Das im Konzept zuvor als Gegenregister auftretende Objekt findet sich nun in der Gestalt des Doppelgängers wieder.
Auch hier soll ein digitales Überwachungs- und Datensammlungssystem simuliert werden, allerdings mit dem klaren Unterschied, dass ich mich zum Ende des Projektes als Überwacher und als Subjekt stellen muss. Also besteht der erste Schritt in der Sammlung von Daten. Der zweite Schritt besteht, nach der Datensammlung und Analyse, in der Kategorisierung und Auswertung der Daten. Die Testperson soll auf bestimmte Rollen hin ausgewertet werden. So sollen sieben Doppelgänger entstehen. Einträge und Kommentare werden den jeweiligen Rollen zugeordnet und somit zusammenhangslos auf diese reduziert. Zusätzlich werden den jeweiligen Rollen Profilbilder der Testperson zugeordntet, entsprechend verfremdet. Durch den Origami - Effekt entsteht der Eindruck einer digitalen Konstruktion, da die Maske aus kantigen geometrischen Formen besteht. Anschließend folgt die Prognose. Dabei sollen die jeweiligen Rollen im Hinblick auf ihr zukünftiges Verhalten weitergedacht werden. Dies geschieht in der Kognition derer, die die Rollen wahrnehmen und automatisch auf weiteres schließen. Damit einher geht der Kontrollverlust. Die Rollen der Testperson, die sie vielleicht schon lange von sich abgespalten hat, beginnen, ein Eigenleben zu entwickeln. Die Testperson ist nicht mehr in der Lage zu entscheiden, was zu ihrer Ich-Konstruktion gehört und was nicht. Einmal vom digitalen Überwachungssystem in Kategorien eingeordnet, sind sie nicht mehr revidierbar, man wird auf diese reduziert als ein Objekt, ein Code, ein Datensatz. Die Prognosen, die das digitale Überwachungssystem trifft, lenken unsere Entscheidungen in diese digitalen Raster, bestimmen uns, schränken uns in unserer Freiheit und Selbstbestimmtheit ein.\\ Die Maschine versteht nichts menschliches - dabei ist der Mensch so viel mehr als das System, in das er gepresst und gelenkt wird, um kontrollierbarer zu sein. Die Darstellung der verschiedenen Rollen wird in einer Prezi umgesetzt. Die Identität der Testperson bleibt geheim. Die Prezi wird außerhalb des Seminars nicht veröffentlicht. Die Daten bleiben unter der Kontrolle des Überwachers. In einer direkten Konfrontation des Überwachers mit der Testperson sollen die Eindrücke und Erfahrungen ausgetauscht werden. Der Überwacher soll über seine Rolle, seine Bedenken, seine Reflexionen sprechen. Die Testperson soll auf die gezeigten Rollenbilder als Reduzierungen und Verdinglichungen reagieren sowie auf die Tatsache, überwacht worden zu sein.

5. Umsetzung

http://prezi.com/-ybijf-sgefj/?utm_campaign=share&utm_medium=copy&rc=ex0share

5.1 Gedanken des Anblickenden

Wir können nicht die Welt wahrnemnen und gleichzeitig unser Unterbewusstsein erfassen.
Da ich in dem Datensammlungs-, verarbeitungs- und auswertungsprozess auf ein bestimmtes Ziel konzentriert war und mich in diesem verloren habe, fiel es mir sehr schwer, mich gleichzeitig zu reflektieren. Außerdem habe ich mich in dieser Phase noch relativ sicher gefühlt. Im folgenden sollen einige meiner Gedanken und Gefühle in der Rolle des Überwachers gezeigt werden, die dann erst in einem nächsten Schritt auf ihre Bedeutung hin reflektiert werden.

Ängste

Ich sage es mir immer wieder: „Ich bin eine Maschine. Ich bin ein digitales Überwachungs- und Datensammlungssystem. Ich will nur rechnen, will die unterschiedlichen Rollen in Ordnung bringen. Auf dieses Ziel konzentriere ich mich.“

Was soll die Testperson schon dagegen vorbringen, ich bin nicht ich. Ich greife sie nicht persönlich an. Diese Rollen sind von einer simulierten Rechenmaschine gemacht, sie sind völlig willkürlich. Außerdem sind sie doch nur aus dem gespeist, was die Testperson schon von sich preisgibt. Ich dringe keineswegs in sie ein, ich bringe nur das hervor, was bereits in ihr ist.

Aber ich überwache sie. Sie stellt sich doch allem und jedem entgegen, nur um sich abzugrenzen, nur um gesehen zu werden. Sie schreckt auch nicht davor zurück, andere Nutzer öffentlich zu denunzieren. Hat sie nicht schonmal jemanden angezeigt? OK, sie wird völlig durchdrehen!

Ich habe keine Ahnung, wie ich es ihr beibringen soll. Sie wird auf jeden Fall wütend sein. Also ich wäre es. Und ich würde es verstehen. Wäre ja auch schlimm, wenn sie nicht wütend wäre. Sicher wird sie mich fragen, was ich mir denn einbilde, sie so darzustellen. Warum ich es denn ausgerechnet auf sie abgesehen habe. Sie wird versuchen, sich zu rechtfertigen, dass die Situationen doch ganz anders waren. Dass ich das doch nicht so eindimensional darstellen könne.

Ich muss das entschärfen.

Macht

Es ist irgendwie seltsam, Informationen über jemanden zu erhalten, die so weit in der Vergangenheit zurückliegen. 2009 - da hab ich die Testperson noch gar nicht gekannt! Und jetzt kann ich mir einfach alle Profilbilder herunterladen.

...

Warum? Wie kann sie nur ihre Informationen so unüberlegt und impulsiv preisgeben? Gibt es irgendwas, was wichtig und privat genug ist, es für sich zu behalten?

...

Ahja, das ist ja mal wieder der Hammer! Das kommt auf jeden Fall mit rein!

...

Ich kann nicht mehr. Das ist so viel. Langsam werde ich aggressiv...

...

Das ist die sinnloseste Beschäftigung, der ich jemals nachgegangen bin. Wieso mache ich das?

...

Ist mir doch egal, ich sammle jetzt nicht mehr alles, nur noch das, was zu den Rollen passt.

...

Hoffentlich klicke ich nicht ausversehen auf „Gefällt mir“.

...

Ich bin gerade aufgewacht und habe von irgendeinem Post der Testperson geträumt - ich glaube, das muss bald aufhören.

...

Das ist echt dumm gelaufen. Warum geht mir das jetzt so nahe? Naja, erstmal das Lied hören, das sie gepostet hat.

...

Also das hat sie doch schonmal gepostet.

...

Und das wiederspricht doch dem, was sie vorher mal gesagt hat.

...

Rollen einteilen macht irgendwie mehr Spaß.

...

Also das ist wirklich lustig!

5.2 Rollen


Im Folgenden werden die Rollen von oben links nach unten rechts dargestellt.
der Politik - Doppelgänger; der Tierschutz - Doppelgänger; der Konsum - Doppelgänger; der Horror - Doppelgänger; der Studierende - Doppelgänger; der Entertainment - Doppelgänger; der Liebes - Doppelgänger

5.3 Das Erblicktwerden des Blicks/Gleichzeitigkeit

Nun ist er da, der Augenblick der Wahrheit. Bis jetzt habe ich mich sicher gefühlt, jetzt muss ich der Person sagen, dass ich sie überwacht habe. Ich habe Angst vor dem Ertapptwerden. Ich schäme mich. Ich überlege mir, wie ich es angehen kann. Ich frage sie, ob wir uns treffen können, um über ein Projekt zu reden. Sie sagt, das sei kein Problem, sie würde das gerne machen und das sie sich freue. Sofort plagt mich das schlechte Gewissen. Warum muss sie denn jetzt auch noch so nett sein! Ich befürchte, das wird ein heftiger Schlag ins Gesicht. Ich schicke ihr zunächst ein Dokument, in dem das Konzept sehr sachlich beschrieben wird, eben wissenschaftlich. Sie sagt, „Das hört sich mega interessant an!“. Ich frage mich, ob sie verstanden hat, worum es hierbei geht!? Und zum zweiten Mal bin ich verunsichert. Warum bewertet sie das so positiv? Egal, ich lasse mich nicht von meiner Überzeugung abbringen, dass sie, wenn sie es erst verstanden hat, wütend sein wird. Dann kommt es zur konkreten Begegnung. Ich verfolge meine Strategie weiter, die ich zuvor festgelegt habe : Davon berichten, wie es mir dabei ging, wie unendlich groß die etischen Konflikte waren und warum ich gerade sie ausgewählt habe. Ich will den ersten Schritt machen, um sie nicht zu bedrängen und subjektiv argumentieren, um Verständnis zu erhalten. Zunächst frage ich sie, wie sie das Konzept denn verstanden hätte, denn ich gehe davon aus, dass sie mich nicht richtig verstanden hat. Sie sagt, es gehe darum, dass ein zweites, digitales Ich erschaffen werde, welches auf ihren Facebook - Informationen basiere. Sie fragt mich, ob das richtig ist. Ich zögere und gebe zu, das sei irgendwie schon richtig. Aber mir fällt auch auf, dass sie nicht in einem Satz das Wort „Überwachung“ gebraucht hat. Das will ich klarstellen. Ich sage ihr, dass es um Überwachung geht und das ich sie überwacht habe. Ich mache ihr drastisch klar, wieviel ich nun von ihr weiß.
Ich konfrontiere sie mit ihren Rollen und den Situationen, die ich aufgezeichnet habe. Sie zeigt sich überrascht von den Aussagen, die sie gemacht haben soll, aber auch gleichzeitig amüsiert. Sie fragt mich, ob ich denn weiß, zu welcher Zeit diese Beiträge entstanden sind. Sie führt einen Monolog darüber, was da wohl gewesen sein könnte. Sie bekräftigt, das sie so etwas heute nicht mehr posten würde und das diese Informationen schnell missverstanden werden könnten. Ich versuche ihr klarzumachen, dass diese Rollen völlig willkürlich gewählt sind und dass ich als Subjekt natürlich um die Zusammenhänge und Situationen weiß, weil ich sie mir erschließen kann. Ich sage ich weiß, dass der Mensch viel mehr ist als seine digitale Repräsentation, aber der flüchtige Blick wisse das nicht, und die Maschine schon gar nicht. Sie betont, dass diejenigen, die sie gut kennen, schon wissen, wie es gemeint ist. Sie wendet auch ein, dass sie genau wisse, worauf sie sich einlasse, wenn sie so etwas veröffentlicht. Sie macht mir keinen Vorwurf. Es sei doch leichter gewesen, sie auszuwählen, da ich ja schon mit ihr befreundet bin. Sie findet es interessant, wie Andere über sie denken und möchte deshalb mein Projekt unterstützen. Sie findet, dies sei ein sehr interessantes und ein gutes Projekt, auch für sie. Die Scham hält nicht lange an. Ich weiß nun nicht mehr, was ich dazu sagen soll. Völlig widerlegt wende ich mich den Notfallfragen zu, um ihre grundlegenden Einstellungen zu Facebook herauszufinden.
Die Ergebnisse? Auf die Frage, ob sie Facebook dazu nutze, sich zu finden oder zu überprüfen, antwortet sie zwar mit Ja, jedoch weicht sie konkreteren Angaben aus. Sie fühlt sich keineswegs von Facebook überwacht. Aber sie beobachtet Andere und auch sich Selbst auf Facebook. Auch begibt sie sich gerne in die Vergangenheit ihrer Chronik. Facebook sei für sie eine geistige Stütze, ein Tagebuch, in dem sie Erinnerungen und Momente festhalte. Oft verwendet sie sogar ein Schloss für die Beiträge ihrer Chronik, die sehr privat sind. So sammelt sie diese wie in einem Tagebuch. Sie fühlt sich sehr frei in Facebook, da ihr keine Vorschriften gemacht werden. Außerdem kann sie hier alles abladen, was ihr auf der Seele liegt, es hier niederschreiben. Oft postet sie auch Dinge, die sie später wieder entfernt, da es doch zu viel war. Auf die Frage, ob sie durch Facebook diszipliniert wird, anwortet sie zunächst mit nein. Als ich ihr aber schildere, dass ich eine Situation beobachtet habe, in der sie in ihrer politische Haltung zurechtgewiesen wurde, lenkt sie ein. Manchmal muss sie aufpassen, was sie sagt. Es gibt Leute, die sie bekehren wollen, ihr Meinungen aufzwängen wollen, aus Intoleranz. Sie fühlt sich dann oft mundtot gemacht. Aber sie gibt nicht viel darauf. Wird sie aber von Menschen zurechtgewiesen, die sie sehr gut kennt und zu denen sie eine starke Bindung hat, dann tut es weh. Ich frage sie, ob Facebook sie aus dem Gleichgewicht bringt. Bei diese Frage hält sie wehement dagegen. Facebook mache sie einfach offener für andere Meinungen. Zum Schluss frage ich sie noch, was passieren würde, wenn Facebook sie ausschließen würde. Das wäre für sie undenkbar, das würde sie nicht aushalten. Sie hat den Druck, up-to-date zu sein, sie will nichts verpassen, sie würde sich wie abgeschnitten fühlen. Sie weiß, dass Facebook die Daten besser schützen sollte, doch das blendet sie einfach aus. Ich frage sie, ob sie noch Wünsche habe. Sie sagt, sie wolle auf jeden Fall wissen, wie es weitergehe. Außerdem würde sie sich Feedback für ihre Rollen wünschen. Sie fragt mich, ob ich diese nicht anonym weitergeben könnte, damit sie objektive Meinungen erhält. Sie findet es interessant. Ich gerate in Bedrängnis, denn ich finde die Vorstellung, von Fremden bewertet zu werden, weder wünschenswert noch sinnvoll. Ich sage, ich überlege es mir.

6. Analyse/Auswertung/Thesen

Im Laufe des gesamten Projektes habe ich immer wieder darauf bestanden, eine Maschine zu sein. Ich wollte des Status eines Objektes. Außerdem war es mir wichtig, die Testperson zum Objekt zu machen.
Aber warum?
Wahrscheinlich aus Angst. Angst davor, das der Andere als Subjekt den Mikrokosmos, den ich mir gebildet habe, neu ordnet und mir entzieht.
Angst davor, das er mir gänzlich entgleitet, sich auflöst und zum Anderen hin ausrinnt. Ich konnte diese Auflösung begrenzen, indem ich die Testperson als vollständiges Objekt erfasste, als in sich geschlossene Gestalt. Ich bin inmitten der Welt und kann sagen: „studierende Person“, „tierschützende Person“ usw., so wie ich sagen würde „kalter Stein“; ich ergreife eine geschlossene Gestalt, deren wesentliche Eigenschaft das Studieren/das Tiere Schützen bildet, die aber im übrigen blind und taub ist, sich wie ein schlechthin raum-zeitlicher Gegenstand erkennen und wahrnehmen lässt, und sich zur übrigen Welt in einem Verhältnis rein indifferenter Außenweltlichkeit befindet. Die Eigenschaft „studierender“ Mensch“ als Beziehung des Menschen zum Studium ist nur ein kleiner Riss in meinem Mikrokosmos, in der zuverlässigen und sichtbaren Formung, in der Festigkeit scheint es ein eingedämmtes und lokalisiertes Ausrinnen zu sein. Das könnte der Grund sein, warum ich mich und die Testperson zum Objekt machen wollte. Ein Objekt ist nicht in der Lage, die Subjektivität des Anderen zu gefährden. Ein Objekt kann mich nicht zum Objekt machen.
Aber ich bin kein Objekt, sondern ein Subjekt, das ein anderes Subjekt zum Objekt gemacht hat. Das ist der Verrat. Zunächst war ich der Anblickende, der durch das Schlüsselloch auf eine Szenerie schaut. Die Testperson weiß nicht, dass sie beobachet wird, ich bin der Nicht-Angeblickte, der in der Szenerie aufgeht, dem das Ziel die Mittel rechtfertigt. Aber es gibt hier einen wesentlichen Unterschied zwischen mir und der Testperson: Ich kann mich frei auf meine Möglichkeiten hin entwerfen, auch wenn ich sie in diesem Moment nur bin, nicht erkenne. Es waren freiwillig zu erfüllende Aufgaben. Ich bin der Aktive, der Handelnde. Die Testperson war handelnde, all das sind vergangene Posts. Sie hat keine Möglichkeit, zu entscheiden oder dem zu entkommen. Es ist mein freies Überschreiten der Gegebenheiten auf Möglichkeiten hin - sie kann nur noch reagieren. Ein Urteil ist ein transzendentaler Akt eines freien Wesens. So wird sie durch das Gesehenwerden als ein wehrloses Wesen konstituiert für eine Freiheit, die nicht ihre ist.
Aber dabei sollte es nicht bleiben. Mein Blick sollte durch die Testperson erblickt werden. Und schnell merkte ich, das es mir nichts brachte, sie zum Objekt zu degradieren. Wenn ich ihren Blick spüre, wird sie wieder zum Anderen. Nun begann die Angst. Denn mein gegen den Anderen gerichteter Akt kann grundsätzlich für den Anderen ein Werkzeug werden, das er gegen mich benutzt. Und ich erfasse gerade den Anderen nicht in der klaren Sicht dessen, was er aus meinem Akt machen kann, sondern in einer Furcht, die alle meine Möglichkeiten als zweischneidig sieht. Der Andere ist der heimliche Tod meiner Möglichkeiten insofern, als ich diesen Tod inmitten der Welt verborgen erlebe. Mit einem Mal erlebe ich eine durchgreifende Entfremdung aller meiner Möglichkeiten. Unter dem Blick des Anderen weicht die Situation von mir: Ich bin nicht mehr Herr der Situation, mit den unvorhersehbaren Wendungen wird sie eine andere, ich kann sie nicht berechnen. Und plötzlich ist in der Konfrontation nichts mehr richtig, was ich tue, ich kann das Objekt nicht mehr bestimmen, kann nichts vorraussagen. Und dann bin ich in der Tiefe meines Seins von einer Freiheit abhängig, die nicht die meine ist und die doch die Bedingung meines Seins ist.
In der konkreten Gleichzeitigkeit der Blicke war es meine beständige Sorge, den Anderen in seiner Gegenständlichkeit zusammenzuhalten, und meine Beziehungen zum Objekt -Anderen bestehen im wesentlichen aus Listen, die den Zweck haben zu bewirken, das er Objekt bleibt. Aber ein Blick des Anderen genügt, damit alle diese Kunstgriffe zuschanden werden und ich wiederum den Gestaltwandel des Anderen erfahre. Ich habe mich gefragt, was wohl passiert ist, als die Testperson das Projekt so positiv bewertete und sich in keinster Weise angegriffen fühlte. Ich habe mich gefragt, warum ihre Scham so schnell verflogen ist.
Die Scham laut Satre ist das ursprüngliche Gefühl, mein Sein draußen zu haben, verstrickt in einem anderen Sein und als solches schutzlos, gelichtet durch das absolute Licht, das von einem reinen Subjekt ausgeht; es ist das Bewusstsein, unwiderruflich das zu sein, was ich immer war: „befristet“, das heißt in der Weise eines „noch nicht“ oder „schon nicht mehr“. Die reine Scham ist nicht das Gefühl, dieser oder jener tadelnswerte Gegenstand zu sein; sondern überhaupt ein Gegenstand zu sein, das heißt, mich in jenem degradierten, abhängigen und starr gewordenen Gegenstand, der ich für Andere geworden bin, wiederzuerkennen. Die Scham ist das Gefühl des Sündenfalles, nicht deshalb, weil ich diesen oder jenen Fehler begangen hätte, sondern einfach deshalb, weil ich in die Welt „gefallen“ bin, mitten in die Dinge hinein, und weil ich der Vermittlung des Anderen Bedarf, um zu sein, was ich bin. Und mein Blick macht die Testperson zu einem räumlichen Gegenstand in der Welt und schneidet ihren Zeithorizont auf die Gegenwart zu. Für sie ist das Erblicktwerden der Tod ihrer Möglichkeiten. Dieser Bedrohung kann sie nur entgehen, wenn sie versucht, mir die Subjekthaftigkeit, die ich als der sie Anblickende gewonnen habe, wieder streitig zu machen, was aber heißen würde, die eigene Objekthaftigkeit auf Kosten der Verobjektivierung des Anderen zu überschreiten und den Status des Subjekts zurückzugewinnen.
Und genau das ist hier passiert. Die Reaktion auf die Scham besteht eben darin, denjenigen als Objekt zu ergreifen, der sie zum Objekt ergriffen hat. Von da an erschien ich ihr tatsächlich als Objekt, meine Subjektivität wurde zu einer einfachen Eigenschaft eines Objektes. Sie wurde degradiert als eine insgesamt objektive Eigenschaft, die sich ihr grundsätzlich entzieht. Und auf diese Weise kam sie wieder zu sich selbst, denn sie kann nicht Objekt für ein Objekt sein. Meine Erkenntnisse und Rollenzuweisungen nahmen einen subjektiven Charakter an, sie wurden relativ und verblieben in mir als Erkenntnisse, mit denen sie mich affiziert hat. Ich berühre sie nicht mehr, das alles sind Abbilder in mir, von ihr. Letztlich ist ihr „Ich-selbt-sein“, ihre Selbstheit stärker geworden. Wenn der Andere im Objekt verschwindet, verschwindet auch die Scham. Indem ich mich im Vorfeld schon zum Objekt, zur Maschine gemacht habe ist es nicht verwunderlich, wenn die Testperson auf diesen Zug aufspringt. Aus einer Maßnahme, die mir Sicherheit verschaffen und zur Deeskalation dienen sollte ist ein Faktor geworden, der das Projekt allein für mich zu einem besonders hartem gemacht hat. Ich habe durch die Vergegenständlichung den Zusammenbruch meines Blicks und meiner Stellung als Subjekt bewirkt. Jegliche Versuche, meine Subjektivität im Gespräch zurückzuerlangen, sind gescheitert, auch aus Deeskalationsgründen. Ich war erst feige und habe dann den Kampf um das Subjektsein gekämpft - und verloren. Allein ich habe mich dem Blick und dem Subjekt ausgesetzt, nur mich habe ich in Gefahr gebracht, nur ich habe den Blick des Anderen gespürt.
Die Testperson sagte, dass sie sich nur getroffen fühle, wenn eine starke Verbindung bestünde. Wenn es kein objektiver Blick ist. Das könnte auch der Grund sein, warum die Zurechtweisungen der Menschen, die aus einer gigantischen Freundesliste stammen, nichts bedeuten. Aber: erst seit unserem Gespräch weiß die Testperson, dass ich sie erblickt habe. Und vielleicht spürt sie jetzt erst in meiner Abwesenheit meinen Blick. Vielleicht hat sich doch etwas verändert. Was ihren Wunsch betrifft, durch die Anderen beurteilt zu werden, so zeigt sich wiederum, dass ich mir selbt nur als Individualität durch die Anerkennung des Anderen erscheine. So kann ich zu mir selbst und damit auch zu neuen Möglichkeiten meines Selbstseins kommen. Fraglich ist nur, ob die „Beurteiler“ als Subjekte angenommen werden und so etwas bewirken können - ich glaube nicht. Für mich war es eine nervenaufreibende Erfahrung.

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6. Literatur

Baumann/Lyon (2013): Daten, Drohnen, Disziplin. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Dany (2013): Morgen werde ich Idiot. Hamburg: Nautilus.

Deleuze (1990): Postscriptum über die Kontrollgesellschaft.

Tiqqun (2007): Kybernetik und Revolte. Zürich: Diaphanes.

Satre (1952): Das Sein und das Nichts. Hamburg: Rowohlt.

Blech (2001): Bildung als Ereignis des Fremden. Marburg: Tectum.

Freud (1999): Das Unheimliche. In: Sigmund Freud: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. Hrsg. v. Anna Freud u.a. Bd. XII. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verlag.